Legende verloren – Der Podcast über die vergessenen Geschichten des deutschen und internationalen Fr

Die Bestenauswahl – Fußball in Ostdeutschland 1990

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Es gab 1990/91 nicht nur die Bundesliga Nord und Süd, sondern auch die Liga des Nordostdeutschen Fußballverbandes, in der die Teams aus der ehemaligen DDR spielten. Dort wurde darum gespielt, wer in der darauffolgenden Saison in die Bundesliga darf.

Überraschend wurden es Jena und Aue, die zuvor in zwölf Jahren DDR-Meisterschaft nie zu den besten Zwei gehörten. Die Turbinen aus Potsdam wurden nur dritte und somit blieb ihnen der Zutritt verwehrt. Shary und Franzi haben in dieser Folge Doreen Meier und Bernd Schröder zu Gast. Doreen Meier ist ehemalige Spielerin von Jena und Bernd Schröder langjähriger Trainer von Potsdam. Beide waren in der einzigen Saison der „dritten Bundesliga“ aktiv.

Die beiden vereint nicht nur die gemeinsame Zeit im Ligafußball – Schröder war auch Meiers Trainer in der DDR-Nationalmannschaft, die nur ein einziges Spiel absolvierte. Und so gibt es einen spannenden Einblick in Fußball der DDR, die Begebenheiten rund um das erste und einzige Spiel des Fußballnationalteams und den Vereinsfußball. Viel Spaß beim Hören!

Shownotes

Moderation

  • Franziska Blendin
  • Shary Reeves

Geschichte des Frauenfußballs in der DDR

  • Ab 1959 finden sich erste Zeitungsartikel zum Frauenfußball in der „Fußballwoche“, einer Fachzeitung der DDR. Die beiden ersten Artikel von 1959 und 1960 zeigen dabei, dass auch in der DDR über „die Sinnhaftigkeit des Frauenfußballs“ ähnlich debattiert wurde wie in der BRD. Auch in der DDR fand der Frauenfußball zu dieser Zeit außerhalb des Verbandes statt und wurde mit sexistischen Vorurteilen verspottet.
  • 1968, also zwei Jahre vor dem DFB, nahm der DFV Frauenfußball offiziell in den Verband auf. Das erste Spiel fand 1969 statt: BSG Empor Dresden-Mitte gewann 2:0 gegen Union Berlin. In einigen Bezirken bildeten sich in der Folge Stadt- und Bezirksmeisterschaften. 1971 spielten schließlich bereits 150 Frauenmannschaften in der DDR.
  • 1971 regulierte der DFV den Frauenfußball auch in seiner Satzung. Es mussten Schiedsrichterinnen eingesetzt werden, keine Männer. Die Spieldauer war zweimal 30 Minuten und Spiele über den eigenen Bezirk hinaus waren nur als Freundschaftsspiele zugelassen. Eine DDR-Meisterschaft wurde so vom Verband verhindert.
  • Gefördert wurde der Frauenfußball nicht, vor allem weil es kein olympischer Sport war und die DDR somit keinen nationalen Ruhm durch Frauenfußball erringen konnte. Entsprechend wurde der Sport nicht als Leistungssport gesehen und entsprechend in das nationale Fördersystem aufgenommen.
  • 1979 beschloss der Verband: „Zur weiteren Belebung und Förderung des Frauenfußballs sind Bezirksbestenermittlungen durchzuführen und beginnend 1979 erstmals Turniere dieser Bezirksbesten bis zur Ermittlung der DDR-Besten-Frauenfußballmannschaft zu organisieren“, und setzte eine Kommission ein, die diese Bestenermittlung organisieren sollte.
  • Ab 1979 gab es diese Bestenermittlung. Die 14 Bezirksmeister (ermittelt durch ein Turnier innerhalb jedes Bezirkes – nicht durch Ligen) und die Berliner Stadtmeisterinnen qualifizierten sich und wurden in vier Gruppen aufgeteilt. Die jeweiligen Gruppensieger spielten anschließend in einer Vierergruppe den Sieger aus. Gespielt wurden dazu jeweils nur 20 Minuten und alle Spiele fanden an einem Tag im selben Stadion statt.
  • Ab 1985 gab es auf Bezirksebene einen organisierten Ligabetrieb. Die jeweiligen Meisterinnen qualifizierten sich nach wie vor für die Bestenermittlung.
  • Ab 1987 gab es eine zweigleisige Liga (Nord und Süd), also wieder zwei Jahre vor der Einführung einer solchen Liga in der BRD. Die beiden Staffelsieger spielten in einem Finalspiel die Meisterin aus.
  • Die DDR-Besten waren bis 1989:
    • 6 Mal BSG Turbine Potsdam
    • 2 Mal BSG Rotation Schlema (Aue)
    • je 1 Mal BSG Motor Mitte Karl-Marx-Stadt, BSG Wismut Karl-Marx-Stadt, BSG Motor Halle und BSG Post Rostock
  • In der letzten Saison vor der Wiedervereinigung, 1990/91, gab es eine eingleisige Meisterschaftsliga, die „Oberliga Nordost“, in der 10 Mannschaften antraten. Die Liga diente vor allem auch als Übergang zur Wiedervereinigung, da die beiden besten Teams der Liga in die (West-) Bundesliga aufstiegen, während alle anderen Clubs in die Regionalliga Nordost einsortiert wurden.
  • HSG Uni Jena und FC Wismut Aue beendeten die Oberliga Nordost auf den ersten beiden Plätzen und kamen so in die Bundesliga – beide waren zuvor nie Meister (bzw. DDR-Beste).

Uni Jena

  • Entstanden aus der HSG Jena (Hochschulsportgemeinschaft Jena), die seit 1946 existiert.
  • Der Uni SV Jena schafft es nie, sich für die Finalrunde der DDR-Bestenermittlung zu qualifizieren.
  • Erstmals in Erscheinung tritt er 1990/1991, als er als Bezirksmeisterin an der neu geschaffenen Oberliga Nord-Ost teilnehmen darf.
  • Auf Anhieb gewinnt das Team die Oberliga Nordost und ist damit neben TSV Siegen und dem FSV Frankfurt dritter deutscher Staffelmeister. Anders als die beiden Westvereine darf Uni SV Jena aber nicht an der Meisterschaftsendrunde teilnehmen.
  • Durch den Sieg in der Oberliga Nordost qualifiziert man sich jedoch für die Bundesligasaison 1991/92 und wird in die Nordstaffel eingegliedert.
  • Nach anfänglich vier Niederlagen gewinnt der Uni SV Jena am fünften Spieltag erstmals: im eigenen Stadion mit 2:1 gegen den Aufsteiger TeBe Berlin. Direkt am nächsten Spieltag holt man auswärts sensationell einen Punkt beim Vorjahresdritten SSG 09 Bergisch Gladbach (2:2). Nach zwei weiteren Niederlagen gelingt am 9. Spieltag ein weiterer Heimsieg (2:0) gegen den SC Poppenbüttel aus Hamburg. Doreen Meier schoss dabei das zweite Tor.
  • Danach werden alle Spiele verloren und man steigt mit großem Abstand auf alle anderen – außer dem SC Poppenbüttel – am Ende ab.
  • Bis 2003 spielt man im Mittelfeld der Regionalliga.
  • Am Ende der Saison 2002/2003 qualifiziert sich der USV Jena für die Aufstiegsrunde in die (nun eingleisige) Bundesliga. Als Dritter hinter dem 1.FC Saarbrücken und dem Hamburger SV verpasst man die Qualifikation für die Bundesliga aber knapp.
  • In der Folgesaison 2003/04 verpasst man den Wiedereinzug in die Aufstiegsrunde, wird aber hinter TeBe Berlin Tabellenzweiter und qualifiziert sich für die neugeschaffene zweigleisige 2. Bundesliga.
  • In der 2. Bundesliga Süd wird der USV Jena zweimal Dritter und einmal Zweiter, bevor man 2007/08 nur durch ein besseres Torverhältnis als der VfL Sindelfingen die Liga gewinnen und sich so für die Bundesliga 2008/09 qualifizieren kann.
  • Bis 2018 spielt Jena durchgehend in der Bundesliga. Es folgt ein Abstieg, ein Wiederaufstieg und zuletzt wieder ein Abstieg.
  • Zur Saison 2020/21 übernimmt der FC Carl Zeiss Jena alle Frauenmannschaften des FF USV Jena und stellt nun die Zweiligamannschaft.
  • Der größte Erfolg des Vereins im vereinigten Deutschland ist die Teilnahme am DFB-Pokalfinale 2010, welches knapp mit 0:1 gegen Duisburg verloren geht.
  • Bekannteste Trainerin der Jenaerinnen ist Martina Voss-Tecklenburg, die 2011/12 für wenige Monate die Mannschaft leitet, bevor sie Nationaltrainerin der Schweiz wurde.
  • Auf dem Platz haben neben Doreen Meier vor allem die Äquatorialguineerin Genoveva Anonma und die heutige Wolfsburgerin und Nationalspielerin Anna Blässe überzeugt.
  • Besonders spannend ist hierbei die Geschichte von Genoveva Anonma. 2008 gewinnt Äquatorialguinea sensationell erstmals den Afrikacup – Anonma wird Torschützenkönigin. Trotzdem hat sie damals kaum jemand auf dem Schirm. Der FF USV Jena holt sie von ihrem Heimatclub Malabo nach Deutschland, nach monatelanger Verhandlung, um ein Visum für sie zu bekommen. Sie schlägt umgehend ein und wird die beste Torschützin des Vereins – und Torschützinkönigin des DFB-Pokals 2009/2010. Insgesamt schießt sie in 50 Spielen 37 Tore. Als sie auch bei der WM 2011 in Deutschland glänzt und die beiden einzigen Tore Äquatorialguineas schießt (beide gegen Australien) und ins All-Star-Team der WM kommt, kauft Turbine Potsdam sie, wo sie weitere 60 Tore in 79 Spielen schießt und auf Anhieb erste ausländische Torschützinkönigin wird.

Turbine Potsdam:

  • Alles Begann bei Turbine mit dem Zettel „Gründen Frauen Fußball Mannschaft. Bitte melden. 03. März 1971. 18 Uhr“ im Klubhaus „Walter Jäger“, welcher an der Wandzeitung bei der VEB Energieversorgung Potsdam hängt.
  • Dem Zettel folgen dann eine ganze Menge Personen, die am nächsten Tag nach dem ersten Treffen auf dem Sportplatz stehen – 38 an der Zahl. Bernd Schröder trainiert das Team eher zufällig, aber er tut es, und am 25. Mai folgt das erste Testspiel des Teams gegen Empor Tangermünde.
  • Die Heimspielstätte ist seit Beginn der Karl Liebknecht Sportplatz in Babelsberg.
  • Die Spielerinnen werden dann auch privilegiert behandelt, indem sie freitags früher von der Arbeit weg durften; allerdings genießt in der DDR vor allem das Vorrang, was auch olympisch ist – das ist Frauenfußball nicht.
  • 1979 dürfen sie dann endlich auch überregional spielen und Turbine wird direkt „DDR Beste“.
  • 1981 trainiert das Team unter Schröder nach einem verpassten Titel 1980 schon 5x pro Woche, was damals Ost wie West wohl eher eine Besonderheit darstellt.
  • Die Gegnerinnen heißen damals Chemie Leipzig, Aufbau Dresden Ost und Karl-Marx-Stadt.
  • Die Spielzeiten sind aber auch wie im Westen noch stark reduziert. Eine Halbzeit dauert zeitweise nur 20 Minuten.
  • Für den Titel „DDR Beste 1981“ gibt es erstmalig eine Prämie.
  • Um mehr Gegnerinnenauswahl zu haben, will man auch ins Ausland fahren, was leider nur bedingt geht, da nicht gegen West Teams gespielt werden darf bzw. das immer ein kritisches Thema ist. Das führt auch zu der ein oder anderen Reisesperre bzw. Reise unter Parteiaufsicht.
  • Mit dem Umbruch 1989/90 kommt auch im Fußball die Veränderung. Stammspielerinnen gehen und die Bestenauswahl wird in die Nordost Oberliga umfunktioniert, von der dann nur zwei Teams in die Bundesliga dürfen, obwohl es sich die DDR-Teams anders gewünscht hätten. Unter anderem durch das Abwandern von Stammspielerinnen erreicht Turbine nur Platz 3 und verpasst so den Eintritt in die Bundesliga Nord.

Doreen Meier

  • 1987 bis 1993 spielt sie für die Hochschulsportgemeinschaft der Uni Jena.
  • Mit Jena wird sie 1990/91 überraschend NOFV-Meisterin.
  • Sie spielt im einzigen Länderspiel der DDR-Nationalmannschaft gegen die Tschechoslowakei (0:3).
  • 1994 bis 2000 ist sie Spielertrainerin der TSG Wilhelmshöhe Kassel (Bezirksliga und Aufstieg in die Oberliga) und Stützpunkttrainerin beim Hessischen Fußball Verband.
  • 1997 bis 2000 ist sie außerdem Projektleiterin beim DFB Schulfußballprojekt.
  • Anschließend ist sie erst Co-Trainerin und dann Cheftrainerin beim SC 07 Bad Neuenahr. Sie verlässt Bad Neuenahr 2006.
  • Von 2008 bis 2012 trainiert sie Bayer 04 Leverkusen und steigt als Cheftrainerin mit dem Team in die 1. Bundesliga auf.
  • Seit 2020 ist sie nun DFB-Stützpunkttrainerin in Köln Vingst.

Bernd Schröder

  • Bernd Schröder war leitender Angestellter bei der VEB Energieversorgung Potsdam. Die Betriebssportgemeinschaft Turbine Potsdam wird 1971 für die Mitarbeiterinnen dieses Betriebs gegründet. Bernd Schröder sitzt zufällig am Nachbartisch, um zu essen, und wird spontan gefragt, ob er die Spielerinnen trainieren würde. Er war zwar früher Ersatztorhüter des 1.FC Lokomotive Leipzig, aber hat keinerlei Erfahrung oder Qualifikation als Trainer – sagt aber spontan zu.
  • Schröder ist Trainer der BSG Turbine Potsdam (später 1.FFC Turbine Potsdam) von 1971 bis 1992 und von 1997 bis 2016. In den Jahren dazwischen ist er Manager des Vereins.
  • Beim einzigen Länderspiel der DDR-Auswahlmannschaft ist er gemeinsam mit Dietmar Männel Trainer.
  • Er wird mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande und dem „Ehrenpreis Lebenswerk“ des DFB ausgezeichnet.
  • Bernd Schröder war nicht in der Partei.

Galerie

Die GästInnen: Doreen Meier und Bernd Schröder heute
Die GästInnen: Doreen Meier und Bernd Schröder heute

Fußballwoche vom 28. Juli 1959
Fußballwoche vom 28. Juli 1959

Fußballwoche vom 02. Februar 1960
Fußballwoche vom 02. Februar 1960

Spielplakat zum einzigen Länderspiel der DDR
Spielplakat zum einzigen Länderspiel der DDR

Die DDR-Auswahl vor dem Spiel gegen die Tschechoslowakei
Die DDR-Auswahl vor dem Spiel gegen die Tschechoslowakei

Die Betriebssportgemeinschaft Uni Jena 1990/91
Die Betriebssportgemeinschaft Uni Jena 1990/91

Die BSG Uni Jena mit der DDR-Meisterschale 1991
Die BSG Uni Jena mit der DDR-Meisterschale 1991

Turbine Potsdam in den 1980er Jahren
Turbine Potsdam in den 1980er Jahren

Turbine Potsdam 1994
Turbine Potsdam 1994

Doreen Meier im Einsatz für Uni Jena
Doreen Meier im Einsatz für Uni Jena

Doreen Meier als Trainerin beim Aufstieg von Bayer Leverkusen
Doreen Meier als Trainerin beim Aufstieg von Bayer Leverkusen

Bernd Schröder als Champions League Sieger
Bernd Schröder als Champions League Sieger


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